SPD in Lichterfelde trauert um Prof Rudolf Rass
Wer den „späten“ Rudolf Rass kannte, war beeindruckt davon, wie sehr er nicht nur dem aktuellen politischen Geschehen weiter folgte, sondern auch Vorschläge dazu hatte. Immer unaufdringlich, mit Formulierungen wie „Das werdet Ihr besser beurteilen können“ oder „Überlege Dir, ob Du davon Gebrauch machen kannst und willst“ hatte er weiterhin inhaltliche Ideen für die Berliner Landespolitik und den Südwestbezirk und war bei den wichtigen Versammlungen seiner SPD präsent. Die langjährige Erfahrung, aber auch ein stets waches politisches Interesse und vor allem – vielleicht typisch für den Naturwissenschaftler in der Politik – analytischer Verstand prägte seine Anregungen. Sprach er, war ihm Aufmerksamkeit gewiss. Er war ein Genosse, der etwas zu sagen hatte, wenn er sich zu Wort meldete.
Er war über einen beeindruckend langen Zeitraum in der SPD aktiv, wurde von allen Rudi genannt, man hatte ihn als Abgeordneten, Abteilungs- und Kreisvorsitzenden erlebt. 1962 war er in die Partei eingetreten, 1967 wurde er schon als 33jähriger zum Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin. Bis 1981 blieb er Abgeordneter, aber er war nie ein reiner Berufspolitiker. Als Professor für Physik, erst an der damaligen Pädagogischen Hochschule, später an der der TU hatte er mehr als nur ein berufliches Standbein in der Wissenschaft. Die Physik prägte auch sein Denken in der Politik. In seiner parlamentarischen Arbeit war es dann nicht allein der Wissenschaftsausschuss, zeitweise war er dort Vorsitzender, der ihn reizte. Auch der im geteilten Berlin wichtige Ausschuss für Bundesangelegenheiten war Schauplatz seiner parlamentarischen Tätigkeit.
Seine politische Heimat war dabei die Steglitzer SPD, deren Kreisvorsitzender er zeitweise war. In der Abteilung Lichterfelde-West war er ebenfalls jahrelang Vorsitzender. Rudi hat politisch in doppelter Hinsicht zunächst eine andere Zeit erlebt als die der Berliner SPD von heute. Denn erstens war Politik im Westteil Berlins immer etwas anderes als die Phase nach 1990, eine ganz andere Zeit mit ganz anderen politischen Herausforderungen in der geteilten Stadt. Und es war zweitens eine Zeit, aus der jüngere Mitglieder bis heute staunend Anekdoten über Machtkämpfe und spannende innerparteiliche Mobilisierungen hören: SPD-Wahlversammlungen mit dreistelligen Teilnehmendenzahlen, bei denen das Durchhaltevermögen nach Mitternacht über die Mehrheitsverhältnisse entschied, nachdem ausgiebige Geschäftsordnungsdebatten geführt worden waren…
Rudi Rass hat immer wieder mit gesundheitlichen Einschnitten zurecht kommen müssen. Aber er blieb wie beschrieben bis zu seinem Tod im 88. Lebensjahr immer aktiv nicht nur für seine Familie, sondern auch für seine Partei. 2012 habe ich ihn für seine 50jährige Parteimitgliedschaft ehren dürfen, dieses Jahr wären es 60 Jahre geworden. Wir werden an ihn denken.
Der Berliner Südwesten und die SPD vor Ort, im Kreis und im Land hat Rudolf Rass viel zu verdanken. Die Gedenkworte des Abgeordnetenhauspräsidenten Buchner aus der Dezembersitzung sind hier verlinkt. (Video)